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Neue PISA-Auswertung:
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"Lesen gefährdet die Dummheit" provozierte unlängst ein Werbe-Slogan des Fischer-Verlags. Dass es sich mit PCs in Schülerhänden recht ähnlich verhält, belegt eine im Januar 2006 veröffentlichte Zusatzauswertung der OECD PISA-Studie. Doch mit der PC-Ausstattung in deutschen Schulen hapert es wohl eher, und im internationalen Vergleich kommt Deutschland dem Niveau einer Bananenrepublik gefährlich nahe.
Nachdem Computer noch vor kurzem angeblich dumm gemacht haben, verhelfen sie nun doch zu besseren Schulleistungen, wenn man den Ergebnissen einer neuen PISA-Auswertung glauben darf. Die Ergebnisse sind allerdings im Kern kaum überraschend, denn dass man insbesondere in naturwissenschaftlichen Fächern zumindest bei adäquater Nutzung vom PC profitieren kann, liegt nach meinem Verständnis auf der Hand. Irritierend ist indes ein anderer Aspekt der Studie: Betrachtet man, wie viele Schüler sich einen schuleigenen PC-Arbeitsplatz teilen müssen, dann rangiert Deutschland auf Platz 27 von 40, unmittelbar hinter Ländern wie Tschechien, Irland, Mexiko, Griechenland und Spanien (siehe "Figure 2") . Wenngleich Deutschland hinsichtlich der PC-Verbreitung in Privathaushalten einen der vorderen Plätze belegt, so zeigt die Studie doch, dass hierzulande mit schulischer PC-Nutzung doch einiges im Argen liegt. Vom Ziel, Computerkenntnisse im Schulunterricht als eine der grundlegenden Kulturtechniken zu vermitteln, sind wir schon allein deshalb weit entfernt, weil es Schülern bereits an ausreichendem Zugang zu Schulcomputern mangelt.
Den Grund für die Misere allein in der viel zitierten Mittelknappheit zu sehen, ist bei näherem Hinsehen kaum stichhaltig. Die Lösung des Problems liegt ebensowenig darin, Schulen mehr Geld für die Beschaffung von PCs und für die Raumkosten von speziellen PC-Arbeitsräumen zu bewilligen. Was wirklich Abhilfe schafft, sind Szenarien, in denen die jeweilige Schule für die Netzanbindung und die Content-Infrastruktur sorgt, während die Eltern für die Beschaffung von Notebook-Computern für ihre Sprösslinge verantwortlich sind. Auf Schulseite entfielen damit auch die Raumkosten für dedizierte PC-Räume sowie die Kosten für PC-Arbeitsplätze. Statt dessen wäre es Aufgabe der Schulen, für Wireless Hotspots auf dem Schulgelände zu sorgen, für die notwendige Netzanbindung ins Internet, und für den Betrieb eines Intranet, das schulspezifischen Content zur Verfügung stellt.
Die Content-Bereitstellung könnte unter Ökonomie-Gesichtspunkten durchaus schulübergreifend geregelt werden, denn hier braucht nicht jede Schule das Rad neu zu erfinden. Auch beim Betrieb der notwendigen IT-Infrastruktur will wohl überlegt sein, ob tatsächlich jede Schule vor sich hinbastelt und ob man dafür allen Ernstes bundesweit zehntausende System-Administratoren ausbilden will. Eine maßvolle Zentralisierung auf regionaler Ebene ist unbedingt erwägenswert und unter TCO-Gesichtspunkten dringend geboten.
Doch die technische Infrastruktur ist nur die Spitze des Eisbergs, und die eigentliche Herkules-Aufgabe beginnt danach. Das schönste Schul-WLAN hilft wenig, wenn nicht im Schulnetz adäquate Inhalte zur Nutzung für den Schüler bereit stehen. Und im Unterricht muss vor allem Medienkompetenz für jenen anderen Teil des Content vermittelt werden, den sich Schüler -- wie später im wirklichen Leben -- in freier Wildbahn mit Google & Co besorgen. Was Not tut, ist die Vermittlung der Fähigkeit, geeigneten Content im Web überhaupt erst aufzuspüren, vor allem aber, die Fundstücke einordnen und hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und Tendenziösität realistisch bewerten zu können.
Dies gilt ganz besonders in Zeiten, in denen faktisch jeder im Web publizieren kann, und in denen selbst in Redaktionen renommierter Publikationen manches mit heißer Nadel gestrickt wird. Wer seine Bildung allzu unkritisch aus dem Netz bezieht, lebt gefährlich. Als Beispiele der noch eher amüsanten Spezies seien Berichte über "Silikon-Chips" genannt, die vor allem in der Publikumspresse nicht auszurotten sind. Doch selbst Quellen, die fachlich eigentlich über jeden Zweifel erhaben sein sollten, entpuppen sich mitunter als Flop, denn mit dem kleinen Unterschied zwischen Silizium (silicon) und Silikon (silicone) waren selbst technische Redakteure bei Sun Microsystems überfordert .
Die Eselsbrücke: Silizium steht für Infineon oder Intel, Silikon für Pamela Anderson, deren Busen jedoch keine Rechenleistung zu erbringen braucht.
Der Aufbau von technischer ebenso wie von Content-Infrastruktur an Schulen setzt neben Geld vor allem Engagement bei den Beteiligten voraus, und in puncto Technik wären selbstredend Lehrer der naturwissenschaftlichen Fächer gefordert. Die Vermittlung der unterschiedlichen Facetten von Medienkompetenz könnte von Nicht-Naturwissenschaftlern geleistet werden, sodass auch Philologen mitgestalten dürften, wenn sie denn nur wollen.
In zahlreichen Gesprächen mit Lehrern hatte ich allerdings nur selten den Eindruck, dass sich nur deshalb nichts bewegte, weil Obrigkeit oder Mittelknappheit die Bremsfaktoren gewesen wären. Meist wurde -- auch von Naturwissenschaftlern -- angeführt, man bekomme dafür ja leider, leider nicht die notwendigen Lehrer-Fortbildungskurse. Der Gedanke, sich -- ähnlich wie in der Wirtschaft -- thematisch nahe Wissensfelder teilweise auch autodidaktisch anzueignen, lag im Regelfall offenbar fern.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe einige sehr engagierte Lehrer getroffen, aber noch sehr viel mehr andere. Letztere erzählten meist gern und wortreich, warum sie's denn lieber bleiben ließen, und es drängte sich die Frage auf, wie denn gerade diese Pädagogen ihren Schülern das Prinzip des lebenslangen Lernens vermitteln wollen.
Gefordert sind aber auch Eltern, denn die müssen ihre Kinder schließlich mit Notebooks ausstatten. Auf denen, ebenso wie auf Schul-Servern, hätte Open Source schon deshalb seinen Charme, um den Kosten für Software-Updates ein Schnippchen zu schlagen. Eine Knoppix Live-CD könnte Schüler-Notebooks sogar zu sicheren Internet-Surf-Stations machen, wenn man bereit ist, dafür die etwas längere Startzeit des Rechners in Kauf zu nehmen. Auch ein Software-Update auf Client-Seite wäre einfach: Man verteilt einfach neue Knoppix CDs.
Kalkulatorisch liegen die Kosten pro Notebook unter 1.- pro Tag, also niedriger als die Ausgaben für die tägliche Nikotin- oder Koffein-Dosis. Doch die unlängst in Bayern geführte Diskussion darüber, ob denn das Bezahlen von Schulbüchern für Eltern finanziell wirklich zumutbar sei, lässt wenig Gutes ahnen, was die elterliche Bereitschaft angeht, stärker in die Bildung der eigenen Kinder zu investieren.
Geld verdient man hierzulande für Urlaub, Auto oder alles, was eben "cool" ist. Geiz ist geil heuzutage, und vielfach habe ich selbst bei Hochschulabsolventen Meinungen gehört, die frösteln lassen: "Wenn Staat, Firma oder sonst jemand will, dass ich diese oder jene Fähigkeit erwerbe, dann möge der doch, bitteschön, auch dafür aufkommen." -- Keine Spur von Einsicht, dass lebenslanges Lernen unverzichtbar ist, und dass gute Aus- und Weiterbildung einen erheblichen persönlichen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Den Grund für die Computer-Malaise der Schulen allein bei Lehrern und Eltern zu orten, greift eindeutig zu kurz, denn hier spielt sicher auch ein gutes Stück deutscher Mentalität mit, was die Betrachtungsreihenfolge angeht. Hierzulande überlegt man gern zuerst, welche Nachteile eine Sache hat, und erst danach kommt die Bewertung der Vorteile dran. Doch dann ist man vom gründlichen Aufspüren der Hinderungsgründe schon so erschöpft, dass kaum noch Kräfte bleiben -- mit vorhersehbarem Ergebnis.
Es gibt viel zu tun. Warten wir's also ab.
Eitel Dignatz ist Strategieberater und Inhaber der Münchner Unternehmensberatung Dignatz Consulting.
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