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Moderne Zeiten mit Linux/XPGastkommentar,
Linux-Magazin 11/2001
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Weitere Kommentare, Reden, Interviews |
Sechzehn Jahre SunOS/Solaris, sechs Jahre Linux, null Jahre Windows. Das jedenfalls ist die Bilanz in meiner Firma. Der Gewinner steht fest: Linux, ohne Wenn und Aber. Und dennoch: Obwohl Linux sich zu einem der besten Unixe gemausert hat, die ich kenne, gibt es Entwicklungen, die Kopfschmerzen bereiten. Doch das Problemkind ist nicht Linux selbst, sondern das, was der eine oder andere Distributions-Anbieter daraus macht. Es geht nicht darum, krümelkrämerisch jeden Fehler aufzuzählen, doch der Spaß hört spätestens dort auf, wo durch mangelhafte Qualitätssicherung die Arbeitszeit, und damit das Geld der Kunden vergeudet wird. Deshalb hier drei ausgewählte Beispiele.
Besonderen Schrecken jagte mir jüngst ein "Feature" ein, das wohl kaum jemand gebrauchen kann, der kritische Applikationen betreibt. Wild gewordene Prozesse lassen sich bei "meiner" Distribution nun nicht mehr in jedem Fall mit "kill -9" beenden, sondern verbrauchen unter Umständen munter weiter CPU-Zeit, ganz entgegen jeder Spielregel für Prozessverwaltungs-Mechanismen im Unix- oder Linux-Kernel. Der Kunde gehört hier ganz deutlich gewarnt, und zwar noch bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Nach jahrelangem Ärger ist es zwar endlich passé, dass ein Hersteller-eigenes Config-Programm ausgerechnet die Zeile mit dem Rechnernamen aus der /etc/rc.config löscht. Doch andere Zeilen dieser Datei, die das Systemverhalten steuern, beseitigt das besserwisserische Programm mitunter gnadenlos. Da die böse Überraschung meist bis zum nächsten Reboot auf sich warten lässt, empfiehlt es sich zumindest für Einsteiger, den Rechner zur Kontrolle neu zu booten. Microsoft lässt hier besonders freundlich grüßen.
Ärgerlich ist auch die Informationspolitik in puncto ReiserFS. Dieses Journalling File System wird vom grafischen Installations-Tool, dessen Zielgruppe vornehmlich Nicht-Spezialisten sind, als Alternative zu ext2 angeboten, wobei der Hilfetext des Tools besagt, man möge unbedingt die Dokumentation lesen. Doch erst nach Lektüre der beiliegenden Handbücher, bei denen man sich ständig fragt, welches Thema eigentlich nach welchem Kriterium in welchem Band gelandet ist, wird die Größe der Bombe klar, auf der man mit ReiserFS wirklich sitzt: "...allerdings ist reiserfsck noch nicht in der Lage, jedes Dateisystem wieder benutzbar zu machen". Geleimt ist also, wer sich im Vertrauen auf den Hersteller für ReiserFS als vermeintlich gleichwertige ext2-Alternative entschieden hat. Das Sichern der Daten, das Ändern des Partitionstyps und das anschließende Neubetanken der Partition sorgen auch hier wieder für zusätzliche Arbeit, und damit wieder einmal Kosten.
Ärgernisse wie diese sind kein Einzelfall und wesentlich blamablere Fälle mögen hier ausgespart bleiben. Offenbar pressiert's oft sehr, weil die neue Distribution fertig werden und zur Tür raus muss. An anderen Stellen steht zu vermuten, dass Entwickler-Primadonnen nicht miteinander reden, geschweige denn sich abstimmen mochten. Und obendrein sorgen Distributions-Erweiterungen zwecks Gewinnung neuer Kundenkreise dafür, dass die verfügbaren Personal-Ressourcen noch zusätzlich strapaziert werden. Dass ein Release das andere jagt, könnte allerdings schon jetzt zum Bumerang geworden sein. Um unnötigen Stress zu vermeiden, kaufen etliche Kunden womöglich ohnehin nur noch jedes zweite Release, von Masochisten einmal abgesehen.
Auf Herstellerseite bedarf es eines klaren Plans, wie es in dieser Situation weitergehen soll, und dringend nötig ist ein Ende des Gewurschtels. Die Produktion einer Distribution erfordert vorrangig eine effiziente Qualitätssicherung, und eine Anlehnung der Verfahren an ISO 9000 kann mit Sicherheit nicht schaden. Kreatives Open-Source-Chaos hin oder her: Ein Management, das derartige Probleme ignoriert, dürfte auf Dauer kaum zum Wohle der Firma und der Aktionäre handeln. Dass der CD-Verkauf jahrelang trotzdem funktioniert hat, ist kein Beweis für die Richtigkeit der bisherigen Methode. Schließlich zeigt auch eine stehende Uhr zweimal am Tag die richtige Zeit an.
Wenn ein Anbieter wie dieser bei Firmen-Kunden für seine Dienstleistungen wirbt, dann wundert die mäßige Resonanz kaum. Schließlich erweckt er mit jeder verkauften CD den Eindruck, dass seine Leute es ja selbst nicht können. Wer nicht weiß, wie's geht, der sollte ich beraten lassen. Das wirkt manchmal Wunder.
"Erlebniswochen" mit Linux/eXPerience? Nein danke, denn wir können sehr gut auf jene Verhältnisse verzichten, die wir heute bei anderen so lautstark kritisieren.
Eitel Dignatz ist Managementberater und Inhaber der Münchner Unternehmensberatung Dignatz Consulting.
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