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Abdruck dieses Interviews mit freundlicher Genehmigung des Linux-Magazins


Interview zu Softwarepatenten in der EU

Immer mehr Widerstand


Am 11. Oktober 2000 fand in Brüssel eine Anhörung vor EU-Parlamentariern zum Thema Software-Patente statt. Unser Gesprächspartner Eitel Dignatz gehörte zu den Vortragenden und berichtet hier über Software-Patente allgemein und die jüngsten Entwicklungen.

Herr Dignatz, als Münchner Unternehmensberater hatten Sie kürzlich Gelegenheit, vor EU-Parlamentariern zum Thema Softwarepatente zu sprechen. Wie kam es dazu?

Ich denke, der Hauptgrund liegt in meiner Vergangenheit, denn ich habe meine Wurzeln in der Unix-Welt und setze mich seit knapp zwei Jahrzehnten für offene Standards ein. Eurolinux hatte einen Tipp vom Linuxtag e.V. bekommen, der durch meine Vorträge auf dem Linuxtag 2000 und bei der Koordinierungsstellle des Innenministeriums (KBSt) aufmerksam geworden war.

Warum sind Sie eigentlich gegen Patente?

Grundsätzlich befürworte ich Patente, denn deren Ziel ist es ja schließlich, Innovation zu fördern, und Erfinder zu motivieren, die Anlaufkosten für ihre Erfindung zunächst einmal selbst zu tragen. Es liegt auf der Hand, dass dazu kein vernünftiger Mensch bereit wäre, wenn er nicht gleichzeitig eine reelle Chance sähe, diese Kosten später wieder einzuspielen und idealerweise natürlich auch möglichst bald in die Gewinnzone zu gelangen. Keine Frage, die Idee dahinter macht Sinn, nur muss man bereits vor der Einführung entsprechender Gesetze sehr genau prüfen, ob diese Ziele durch Softwarepatente überhaupt erreichbar sind. Das Patentrecht ist von seinem Ursprung her eher auf Innovationen im Stil der ersten industriellen Revolution zugeschnitten, wie Dampfmaschinen, Webstühle oder meinetwegen auch das Telefon. Das Haarsträubende bei Software-Patenten ist ja obendrein, dass es unter'm Strich gar nicht darum geht, Computerprogramme zu schützen.

Das heißt, bei Softwarepatenten wird letztendlich überhaupt keine Software patentiert, sondern etwas anderes?

Leider ja, denn für den Schutz von Software brauchen Sie auch gar keine Patente. Programme sind bereits durch das Copyright geschützt, und was der "Käufer", also der Lizenznehmer eines Programms, darf oder nicht, das ist hinreichend bekannt.

Softwarepatente haben nicht etwa Programme zum Gegenstand, sondern eben jene Ideen, die den Programmen zu Grunde liegen. Mit anderen Worten, hier soll patentiert werden, welches Problem ein Computerprogramm löst, und auf welche Weise es das tut. Hier geht es also um Geschäftsabläufe (Business Methods), Dateiformate, Kommunikationsprotokolle und natürlich Algorithmen.

Besonders schwerwiegend ist dabei sicherlich der erste Punkt, denn damit können Sie effektiv per Patent dem Rest der Welt verbieten, das gleiche Business-Problem zu lösen. Das "1-Click"-Patent von Amazon.com ist nicht das einzige, aber ein bekanntes Beispiel für ziemlich üble Patente dieser Art. Zum einen ist es ein Trivialpatent, zum anderen hat es mit Software aus meiner Sicht eigentlich gar nichts mehr zu tun.

Falls Sie also eines Tages irgendetwas über's Web verkaufen wollen, dann sollten Sie dafür sorgen, dass selbst Ihre Stammkunden beim Bestellvorgang mindestens zweimal klicken müssen -- oder dass sie zumindest alle schon bekannten Stammdaten nochmals eingeben müssen. Amazon's Mitbewerber Barnes & Nobles achtete nicht darauf, und wurde deshalb von Herrn Bezos vor den Kadi gezerrt.

Auch Patente auf Dateiformate sind schlimm genug, denn damit kann der Patentinhaber nach Belieben verhindern, dass zum Beispiel ein Mitbewerber Import- und Export-Filter für Office-Programme anbietet. Wenn das passiert, können Sie jegliche Interoperabilität auf Dateiebene zwischen Programmen verschiedener Hersteller komplett vergessen. Die Patentierung von Dateiformaten läuft auf eine Art "Kokain-Effekt" hinaus: Wenn Sie ein Programm einmal benutzen, dann kommen Sie für den Rest des Lebens nicht mehr davon los.

Der Protest gegen europäische Software-Patente kam bisher vor allem von Open-Source-Verfechtern. Sind diese die hauptsächlich Betroffenen?

Open-Source-Vertreter sind vermutlich die Agilsten, während alle anderen Betroffenen, vor allem die außerhalb der Software-Branche, das Problem zum Teil noch gar nicht wahrnehmen. Tatsächlich sind alle Softwarehersteller betroffen, ob Open Source oder nicht.

Was dabei ziemlich untergeht: Es kann auch jede andere Branche treffen, wie das Amazon-Beispiel zeigt. Herr Bezos, CEO von Amazon.com, ging kurz nach Erteilung seines "1-Click"-Patents gerichtlich gegen den Mitbewerber Barnes & Nobles (B&N) vor. Nun ist B&N aber keinesfalls Softwarehersteller, sondern Buchhändler, und hatte auch keine Software verkauft, die der des Herrn Bezos in die Quere gekommen wäre. B&N hatte auf der eigenen Web-Site ein Bestellverfahren implementiert, das einfach nur benutzerfreundlich war. Stammkunden mussten eben nur ein einziges Mal klicken, denn schließlich waren deren Stammdaten und persönliche Präferenzen ja schon gespeichert. Von der Programmierung her war das eine simple, platte Anwendung von Cookies oder "Hidden Form fFields", also wahrlich nichts Aufregendes. Ich denke, spätestens hier wird klar, dass es wirklich jeden von uns erwischen kann.

Welche Argumente führen die Befürworter von Softwarepatenten überhaupt ins Feld?

Gerade Juristen führen nach meiner Beobachtung gern das Argument der "Harmonisierung" ins Feld, gefolgt von dem Argument, man müsse das Recht den faktischen Verhältnissen, also der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung, anpassen. Wenn man mit der Materie nicht vertraut ist, dann klingt das auf den ersten Blick auch durchaus einleuchtend. Tatsächlich hat das Europäische Patentamt (EPA) mit erstaunlicher Chuzpe und wider geltendes Recht bereits seit geraumer Zeit Softwarepatente erteilt. Damit setzt es sich natürlich dem berechtigten Vorwurf des wiederholten Rechtsbruchs aus.

Wenn man vor diesem Hintergrund von "Anpassung" spricht, dann drängt sich die Frage auf, ob man vielleicht auch Ladendiebstähle straffrei stellen sollte, denn schließlich wird in Kaufhäusern jeden Tag genug geklaut.

Die eher wirtschaftspolitisch orientierte Fraktion der Befürworter hat einen anderen Ansatz. Ich glaube, dass diese Leute auch durchaus redlich argumentieren, zumindest diejenigen, die keine Eigeninteressen verfolgen. Das Hauptargument besteht darin, dass Softwarepatente gezielt zur Innovationsförderung eingesetzt werden müssen. Allerdings übersehen die Befürworter, dass diese Methode dummerweise gerade bei Software nicht funktioniert.

Wer profitiert nun eigentlich von Softwarepatenten?

Hauptgewinner sind sicherlich Patentanwaltbüros, das EPA selbst, aber auch Großunternehmen, die eher an einer Marktabschottung interessiert sind als an fortlaufender, echter Innovation. Die Bessen & Maskin-Studie, die am MIT entstanden ist, liefert in diesem Punkt recht interessante Erkenntnisse. Die beiden hatten eine wissenschaftliche Untersuchung angefertigt, in der die Auswirkungen nach der Einführung von Softwarepatenten in den USA beleuchtet wurde.

Für Klein- und Mittelunternehmen sind Softwarepatente ein echter Alptraum -- doch gerade diese Unternehmen schaffen in der EU 60% der Arbeitsplätze und erwirtschaften 60% des Bruttosozialprodukts. In Deutschland sehen die Zahlen nach meiner Kenntnis recht ähnlich aus.

Nun wurde ja gerade die Entscheidung, ob Softwarepatente kommen sollen oder nicht, dem Europäischen Patentamt übertragen. Hat man hier den Bock zum Gärtner gemacht?

Wie könnte das EPA denn wohl der Versuchung widerstehen, sein eigenes Handeln im Nachhinein per Gesetz rechtfertigen zu lassen? Es ist kein Geheimnis, dass es auch für das EPA um mehr Macht und natürlich um ein höheres Budget geht, das, welche Überraschung, selbstverständlich den zusätzlichen Aufgaben angepasst werden muss, falls die EU die Einführung von Softwarepatenten beschließen sollte.

Sie stellten auch in Abrede, dass Softwarepatente überhaupt Innovationen fördern. Haben Sie Belege für diese Aussage?

Ja, denn die Beobachtungen in den USA widerlegen ganz eindeutig die Sichtweise der Befürworter: "Gebt uns Softwarepatente, damit die Forschungsaufwendungen in den Unternehmen wieder steigen." Wie schon erwähnt, hatten James Bessen und Eric Maskin eine Studie angefertigt, in der die wirtschaftlichen Auswirkungen von Softwarepatenten in den USA beleuchtet werden. Wie erwartet, stieg die Anzahl der Softwarepatente kurz nach der Einführung steil an. Betrachtet man jedoch die F&E-Aufwendungen bei den Top-Ten der Patentinhaber in Relation zu deren jeweiligem Umsatz, dann sieht man eine signifikante Abnahme der F&E-Aufwendungen. Von zunehmender Innovationsbereitschaft war dort jedenfalls keine Spur. Professor Bessen war per Telefoninterview und mit seinen Vortragsfolien übrigens auch auf der EU-Veranstaltung präsent. Leider brach die Telefonleitung vorzeitig zusammen.

Wie reagiert man in den Vereinigten Staaten auf die Ergebnisse solcher Untersuchungen?

Ich selbst sehe zunehmend Hinweise darauf, dass die Amerikaner, die hierzulande gern als Vorbild für Softwarepatente hingestellt werden, eher zurückrudern. Nehmen wir zwei Beobachtungen, die gerade mal ein paar Wochen alt sind:

Im September 2000 brachten die Kongressabgeordneten Berman und Boucher den "Business Method Improvement Act" ein, einen Gesetzentwurf also. Darin geht es zwar nicht ausschließlich um Softwarepatente, aber die Überschneidung damit ist extrem groß. Und natürlich musste auch hier wieder Amazon's "1-Click"-Patent als Beispiel herhalten. Wenn man berücksichtigt, dass Berman in Kalifornien und Boucher in Virginia als Kongress-Abgeordnete jede Menge High-Tech-Firmen, insbesondere im Mikroelektronik- und Softwarebereich vertreten und wohl kaum gegen deren Interessen agieren werden, dann lässt sich wohl mit Fug und Recht vermuten, dass man auch jenseits des Atlantik bestimmte Patentrecht-Entwicklungen mit Sorge sieht.

Das nächste Beispiel: Auf höchster Ebene wurde das "Presidential Information Technology Advisory Committee" (PITAC) angesiedelt, dessren Aufgabe es ist, Empfehlungen für den Open-Source-Einsatz im Supercomputing-Bereich zu erarbeiten. Diese Gruppe hatte Mitte September ein Dokument vorgelegt, in dem Open Source Software zum einen ein strategischer Rang eingeräumt wird. Zum anderen wird betont, man müsse auch rechtliche Hindernisse ausräumen, die dem Open-Source-Einsatz im Wege stehen könnten.

Da wird sich ganz zwangsläufig an der Softwarepatent-Front was bewegen müssen. Mir scheint insgesamt, dass Europäer und Amerikaner einander hier sehr viel näher stehen als oft vermutet wird. Auch in persönlichen Gesprächen im Silicon Valley finde ich diesen Endruck immer wieder bestätigt.

Kommen wir zurück nach Europa und dem Anlass Ihres Auftritts in Brüssel. Wie schätzen Sie das Problembewusstsein bei den EU-Verantwortlichen inzwischen ein. Hat sich da in den letzten Monaten etwas getan?

Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass auf der Veranstaltung im EU-Parlament ein enormes Interesse und auch eine sehr positive Resonanz wahrzunehmen war, und zwar von Parlamentarierseite als auch von der anwesenden europäischen Presse. Vor der Veranstaltung hatte ich mich heimlich gefragt, ob wir es ausschließlich mit den "üblichen Verdächtigen" zu tun haben würden, aber davon war wirklich keine Spur.

Eingeladen hatte der französische EU-Abgeordnete Gilles Savary, und einige Abgeordnete legten sich regelrecht ins Zeug, wie beispielsweise die dänische Juristin und Europa-Abgeordnete Anne Ostergaard. Auch der Kommentar von Philippe Aigrain, Chef der Abteilung Software Technologies im EU-Generaldirektorat 13, Information Society and Enterprises, machte Mut: "You hammered the right nails." Eines der besten Zugpferde ist natürlich EU-Kommissar Erkki Liikanen, ebenfalls Generaldirektorat 13, der zwar auf dieser Veranstaltung nicht persönlich anwesend sein konnte, aber dessen Appelle allgegenwärtig waren.

Wie arbeiten FFII und Eurolinux mit anderen europäischen Organisationen zusammen?

Hier muss ich leider passen, denn ich selbst bin ja, wie gesagt, unabhängiger Unternehmensberater und kein Mitglied in diesen Organisationen. Nach meiner Wahrnehmung gibt es aber durchaus nennenswerte personelle Überschneidungen zwischen den verschiedensten nationalen und europäischen Organisationen, was sicherlich für erhebliche Synergieeffekte sorgen dürfte. Ich war insgesamt sehr beeindruckt von der Kompetenz und Zielstrebigkeit der Eurolinux-Leute. Das sind mit Sicherheit keine Träumer, sondern wirtschaftlich wie auch politisch knallharte Realisten.

Die Diskussion um Softwarepatente wird nicht die letzte Situation sein, in der politische Entscheidungen die Open-Source-Bewegung beeinflussen. Wie kann Ihrer Meinung nach effektiver als bisher auf solche Entscheidungen Einfluss genommen werden?

Ziemlich einfach: Aktiv zur politischen Meinungsbildung beitragen, und das heißt Lobbying, Lobbying, Lobbying. Die Gegenseite tut das schließlich auch. Wenn man bedenkt, dass Großunternehmen, die EU-weit zusammengerechnet nur etwa 40 Prozent der Arbeitsplätze schaffen und nur 40 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften, in der Politik deutlich mehr Gehör finden als Klein- und Mittelunternehmen, die für die übrigen 60 Prozent sorgen, dann wird schnell klar, wo der Hebel anzusetzen ist.

Dass es hier noch viel zu tun gibt, zeigt auch das verhaltene Interesse eines Teils der Wirtschaftspresse. Während beispielsweise die Financial Times Deutschland regelmäßig über derartige Dinge berichtet und auch auf der EU-Veranstaltung zugegen war, können andere Redaktionen mit Softwarepatenten oder auch mit "Open Source als Wirtschaftsfaktor" noch recht wenig anfangen. Zum Thema "1-Click"-Patent hätte ich mir in einem Interview mit Herrn Bezos, das der Spiegel kürzlich druckte, doch zumindest eine einzige Frage gewünscht -- bei all den anderen klugen Fragen, die sonst noch so gestellt wurden. Denn dass Amazon als Kind des Internet im Glashaus sitzt und Steine wirft, das finde ich schon erstaunlich, wenn man an die verheerenden Folgen fürs E-Business insgesamt denkt. Die Presse scheint das kaum zu interessieren: Von wenigen Ausnahmen abgesehen schwieg hier des Sängers Höflichkeit -- bisher jedenfalls.

Halten Sie Unterschriftensammlungen wie die bei europatents.org oder ähnliche Protestaktionen für ein wirksames Mittel, unheilvolle politische Entscheidungen zu verhindern?

Unterschriftensammlungen sind sicherlich ein Steinchen im Mosaik, doch die entscheidenden Dinge laufen über die Presse und über aktives Lobbying.

Eine letzte Frage: Wie sehen Sie persönlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Chance, Softwarepatente in Europa doch noch zu verhindern?

Die Befürworter scheinen mittlerweile von 50/50 auszugehen, nachdem vor einem Jahr noch völlig klar schien, dass Softwarepatente in der EU kommen werden. Ich selbst drücke die Daumen, dass die Politiker klug genug sein mögen, auf der Münchner Diplomatischen Konferenz zur Europäischen Patentrechts-Konvention vom 21. bis zum 29. November ein Moratorium zu beschließen.

Das Interview führte Ulrich Wolf (uwo)

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